Nov 19, 2000

report: "Libanon soll Lage der Palästinenser verbessern"

2010-11-19
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Abu Yussif will nicht mehr über seine Arbeit sprechen. „Es bringt nichts und ohnehin wird sich nichts ändern,“ sagt er. Der gross gewachsene, weisshaarige Palästinenser ist soeben von der Arbeit zurückgekehrt und entspannt sich in seinem kleinen Garten im Flüchtlingslager Bourj ash-Shamali, ausserhalb der südlibanesischen Stadt Tyre. Abu Yussif ist eigentlich Pharmazeut. Wegen der massiven Diskriminierung der palästinensischen Flüchtlinge auf dem libanesischen Arbeitsmarkt musste er seinen Beruf aber an den Nagel hängen. Nun arbeitet er als Taxifahrer.

Palästinensische Flüchtlinge und ihre Nachkommen leben seit 62 Jahren im Libanon. Anders als ihre Verwandten in Jordanien und Syrien leiden sie unter starker, gesetzlich verankerter Diskriminierung. Der Libanon hat die UNO-Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet. Jedoch hat er den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert und die Menschenrechtscharta in seine Verfassung eingebaut.

"Gemäss der Flüchtlingskonvention hätten wir das Recht auf freien Zugang zum Arbeitsmarkt unseres Aufnahmelandes nach drei Jahren Anwesenheit,“ sagt Suhail al-Natour in seinem Büro in Beirut. Al-Natour leitet das Human Development Centre, eine palästinensische Menschenrechtsorganisation. „Nachdem PalästinenserInnen nicht mehr im öffentlichen Sektor arbeiten durften, wurde auch ihr Zugang zum Privatsektor eingeschränkt,“ sagt er. „Was übrig blieb waren die einfachsten, härtesten Jobs, welche LibanesInnen kaum tun würden.“

Trotz ihrer langjährigen (wenn auch theoretisch temporären) Niederlassung im Libanon werden die 250.000 palästinensischen Flüchtlinge oft noch schlechter behandelt als die übrigen AusländerInnen. Der Zugang zu vielen Jobs stark beschränkt. Einige Berufe sind verboten, andere bedürfen einer Arbeitsbewilligung. Zusätzlich werden rund 30 freie Berufe von Verbänden kontrolliert. Des weiteren können PalästinenserInnen keine eigenen Geschäfte oder Unternehmen führen, da sie kein Eigentum besitzen dürfen.

Für PalästinenserInnen bleiben daher zwei Optionen, sagt al-Natour. Entweder arbeiten sie innerhalb der Flüchtlingslager, weil dort der libanesische Staat nicht präsent ist und sie verbotene Berufe ausüben können. Oder sie arbeiten illegal und meiden Inspektionen der Behörden.“ Der Arbeitsmarkt in den verarmten Flüchtlingslagern ist klein. Für gut gebildete PalästinenserInnen bietet er kaum eine ernste Alternative.

Bei Sonnenuntergang findet man Mahmoud Aga meist in seiner kleinen Plantage ausserhalb von Tyre, wo er einige Früchten und Gemüse anbaut und sich von seinem Arbeitstag erholt. Seit 15 Jahren arbeitet er in einem libanesischen Unternehmen in Tyre. „PalästinenserInnen können dem Verband der Ingenieure nicht beitreten, deshalb bin ich gezwungen, illegal zu arbeiten,“ erklärt er. Da er oft auf Baustellen arbeitet, ist er in direktem Kontakt mit libanesischen Auftraggebern. „Gegenwärtig leite ich den Bau einer öffentlichen Schule. Natürlich wissen die libanesischen Behörden, dass ich Palästinenser bin,“ sagt er augenzwinkernd.

Aga arbeitet gerne in seiner Firma. Er sagt, im Gegensatz zu vielen anderen PalästinenserInnen werde seine Lage nicht ausgenutzt. Er werde weder ausgebeutet, noch habe er einen niedrigeren Lohn. „Aber klar, ich habe keinen sozialen Rechte und Versicherungen,“ gesteht er ein.

Libanesische Berufsverbände verweigern PalästinenserInnen systematisch den Zugang. Sari Hanafi, ausserordentlicher Professor an der American University of Beirut erklärt: „Die Statuten einiger Verbände erlauben bloss libanesischen Staatsbürgern die Mitgliedschaft. Andere wenden eine Reziprozitätsklausel an. Da PalästinenserInnen keinen offiziell anerkannten Staat haben, kann dieses Prinzip jedoch nicht erfüllt werden.“

Mitte August änderte das libanesische Parlament das Arbeitsgesetz. Die Macht der Verbände wurde aber nicht angetastet. Suhail al-Natour sagt, dass theoretisch das Gesetz eigentlich den Verbandsstatuten vorangehe. „In der Praxis jedoch geben die Verbände den Ton an,“ konstatiert er.

Das geänderte Arbeitsgesetz zwingt PalästinenserInnen für alle Jobs Arbeitsbewilligungen zu beantragen, wobei es sie von den Gebühren befreit. Al-Natour ist damit aber längst nicht zufrieden: „Die Anzahl Bewilligungsgesuche von PalästinenserInnen wird kaum zunehmen, weil die prozeduralen Probleme weiterhin bestehen.“ Ein Vertrag mit einem libanesischen Arbeitgeber ist Vorbedingung für den Erhalt einer Arbeitsbewilligung. Al-Natour argumentiert, Arbeitgeber würden keine Verträge unterzeichnen, da sie so nämlich Abgaben an die Sozialwerke leisten und einen Lohn deklarieren müssten. „Sie profitieren von der Ausbeutung der Palästinenser. Deshalb wollen sie nichts an den Arbeitsbeziehungen ändern,“ schliesst er.

Gleichermassen betont Sari Hanafi, dass weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer Interesse an einem Vertrag hätten. „Beide würden für die Sozialversicherungen bezahlen, obwohl sie genau wissen, dass der Arbeitnehmer davon nie profitieren wird.“ Im Sommer änderte das Parlament auch das Sozialversicherungsgesetz. Legal angestellte PalästinenserInnen erhalten nun eine Pension. Von der Familien-, der Mutterschafts- und der Krankenversicherung bleiben sie ausgeschlossen.

Die Unzufriedenheit der PalästinenserInnen mit dem, was grossspurig als 'Reform' angepriesen wurde, zwingt sie zu verstärkter Lobbyarbeit auf internationalem Parkett. An der neunten Session des Universal Periodic Review (UPR) des UNO-Menschenrechtsrats musste sich der Libanon einer Überprüfung unterziehen. Es zeigte sich dabei eine zunehmende Besorgnis vor allem der europäischen Staaten hinsichtlich der schwierigen Lage der PalästinenserInnen im Libanon.

Rola Badran hat die Konferenz für die Palestinian Human Rights Organisation vor Ort verfolgt. Sie ist zufrieden mit der UPR-Session. „Das Thema der Rechtssituation der palästinensischen Flüchtlinge im Libanon ist nun auf der internationalen Agenda. Die libanesische Delegation schien erbost und unter Druck. Wiederholt verlangte sie das Wort, um direkt auf Einwände, Kritik und Forderungen anderer Staaten antworten zu können,“ erzählt Badran.

Die Kritik fokussierte vor allem auf die Verweigerung von Eigentumsrechten, die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt und die mangelnde Bewegungsfreiheit. Viele palästinensische Flüchtlingslager werden nach wie vor von der libanesischen Armee umzingelt. Badran bleibt aber pessimistisch und erwartet nicht, dass der Libanon seine Politik ändert. „An der UPR-Session wiederholten sie ihre üblichen Ausreden und betonten, der Libanon sei zu klein und verfüge nicht über die notwendigen finanziellen Mittel.“ Und mit leicht sarkastischem Unterton fügt sie an: „Der Unwille des Libanons zeigte sich am Besten im Statement der Delegation, dass die Präsenz der PalästinenserInnen bereits lange andaure und der Libanon noch immer darauf warte, dass die Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückkehren.“

Dieser Bericht wurde von Ray Smith verfasst. Die englische Originalversion des Beitrags wurde hier von IPS Inter Press Service veröffentlicht.