Jan 8, 2000

bericht: "Polizei räumt 'Sans-Papiers'-Schule"

2010-01-08
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Zürichs Stadtpolizei räumte und demolierte am vergangenen Donnerstag eine selbstverwaltete Schule, in der illegalisierte MigrantInnen Sprachkurse besuchten. Derweil schickt die Schweizer Regierung erneut einen Entwurf zur Revision des Asylgesetzes in die Vernehmlassung.

Am Donnerstagmorgen stürmten etwa dreißig PolizistInnen, die Hälfte von ihnen in Kampfmontur, die Autonome Schule Zürich (ASZ). Anwesende Personen und protestierende UnterstützerInnen wurden teilweise mit Pfefferspray auf Distanz gehalten, während Beamte der Stadtpolizei Zürich vorhandenes Material wie Nachschlagewerke, Schulbücher und technische Utensilien beschlagnahmten. Der Pavillon, in dem sich die Schule befand, wurde teilweise beschädigt. Selbst die Fenster wurden entfernt, um das Gebäude unbenutzbar zu machen.

Die ASZ startete ihren Betrieb im ehemaligen Schulhaus Allenmoos II in einem Außenquartier Zürichs letzten April, als AktivistInnen den leerstehenden Pavillon besetzten. Die autonome Schule baute auf Selbstverwaltung. Kurse konnten gratis offeriert und besucht werden. Das Angebot war dementsprechend breit und reichte von Open-Source-Computerkursen bis zu Workshops zu Solarenergie.

Die wohl größte Gruppe, welche die ASZ nutzte, war der Verein 'Bildung für alle', welcher vor einem knappen Jahr von MigrantInnen und AktivistInnen aus antirassistischen Kreisen gegründet wurde, um abgewiesene Asylsuchende zu unterstützen. Das Projekt versteht sich als Widerstand gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Unterdrückung.

Der Lehrer Ruedi Salzmann war Zeuge des Polizeieinsatzes und zeigt sich überrascht: „Wir rechneten damit, bis im Sommer bleiben zu können.“ Tatsächlich hat Zürichs Stadtrat Ende November festgehalten, er dulde die Besetzung und rechne mit deren Ende im Sommer 2010, da dann der Baubeginn für den geplanten Kinderhort sei. Getrieben von finanziellen Überlegungen argumentierte der Stadtrat damals: „Eine Räumung der Liegenschaft zöge erneute Besetzungen nach sich. Sie zu verhindern, würde kostenintensive Sicherungen erfordern.“

Michael Raissig, ein Aktivist des 'Bleiberecht-Kollektivs' sagt, in Zürich würden Räumungen von besetzten Häusern gewöhnlich angekündigt und ein Termin bekannt gegeben. Er sagt, unzählige Freiwillige hätten viel Zeit und Arbeit in das Projekt gesteckt und gesteht: „Es ist ein harter Schlag ins Genick, wenn innerhalb eines Tages plötzlich alles kaputt gemacht wird.“

In der Schweiz leben zwischen 100.000 und 200.000 sogenannte 'Sans-Papiers', papierlose MigrantInnen. Während der letzten paar Jahre hat das kleine Land mit knapp 8 Millionen EinwohnerInnen seine Asylpolitik wiederholt verschärft. Laut dem Bundesamt für Migration stellten vergangenes Jahr rund 16.000 Menschen einen Antrag auf Asyl und etwa 5.000 abgewiesene Personen „reisten aus“ oder wurden „zurückgeführt,“ sprich: deportiert.

Im September 2006 wurde eine mit massiven Verschärfungen gespickte Revision des Asylgesetzes mit 68-Prozent Ja-Stimmen angenommen. Neben anderen Punkten beinhaltete die Revision Änderungen in den Bedingungen, welche zu einem sogenannten 'NEE', einem 'Nichteintretensentscheid' führen: Auf Asylgesuche sollte künftig nur noch eingetreten werden, wenn der Antragsteller ein gültiges Ausweisdokument wie beispielsweise einen Reisepass vorweisen kann. Während manche MigrantInnen zwar absichtlich keine Identitätspapiere auf sich tragen, flüchteten andere vor repressiven Regimen in ihren Herkunftsländern, deren Behörden ihnen aus politischen Gründen gar nie Reisedokumente ausstellten.

Ende Dezember eröffnete der Bundesrat das Vernehmlassungsverfahren für eine erneute Revision der Asylgesetzgebung. Er gestand ein, dass die harten Bestimmungen für ein Nichteintreten nicht wie erhofft bewirkten, dass markant mehr Asylsuchende an den Empfangsstellen mit gültigen Reisedokumenten auftauchten. 2009 legten bloß 29 Prozent der AntragstellerInnen valide Identitätspapiere vor – nur drei Prozent mehr als noch 2006.

Die harten Kriterien in der Asylgesetzgebung haben viele MigrantInnen in die Illegalität gedrängt, da auf ihre Anträge gar nicht erst eingetreten wurde oder diese im regulären Verfahren abgelehnt wurden. Der Sans-Papiers-Lehrer Ruedi Salzmann bemerkt, für die Schweizer Behörden existierten Asylsuchende ab dem Moment nicht mehr, in dem sie einen negativen Entscheid erhalten. „Tatsache ist aber, dass sie trotzdem noch da sind,“ sagt Salzmann. „Durch unsere Schule wurden sie wieder sicht- und hörbarer.“

Bah Saidou, selbst papierlos, war ebenfalls ein Lehrer an der ASZ. Aufgrund seiner guten Sprachkenntnisse unterrichtete er andere MigrantInnen in den Grundlagen der deutschen Sprache. Er ist entsetzt ob der polizeilichen Räumung. Keinen Ort mehr zu haben wo man unterrichten und lernen könne habe schlimme Konsequenzen für ihn und seine Genossen, da der Sprachkurs ihr Leben und ihre Integration in die Gesellschaft vereinfacht habe. „Die meisten von uns leben in Notunterkünften und haben keinen Zugang zu Bildung,“ sagt Saidou und ergänzt: „Die autonome Schule war für viele von uns die einzige Möglichkeit etwas zu lernen.“

Zürichs Stadtpolizei begründet die Räumung mit einer unsicheren, von den BesetzerInnen illegal verlegten Stromleitung. Mario Cortesi, Sprecher der Stadtpolizei behauptet, die Räumung sei aus Sicherheitsgründen erfolgt. Ein Hauswart einer nahen Schule erlitt im Dezember einen Stromschlag, als er mit einer mangelhaft isolierten Stelle an der Leitung in Kontakt kam. Die BesetzerInnen argumentieren derweil, die Stadt habe ihnen nach dem Vorfall wiederholt eine provisorische Leitung zugesichert, aber das städtische Elektrizitätswerk habe sich geweigert, das benötigte Material zur Verfügung zu stellen. Deshalb habe man sich wiederum selbst geholfen und erneut eine – diesmal einwandfreie – Leitung gelegt.

Die AktivistInnen vermuten, dass der Räumungsgrund an den Haaren herbei gezogen worden sei. „Die Begründung mit dem angezapften Strom war wohl nur ein Vorwand um die Schule zu räumen, die unliebsame Eigeninitiative der Sans-Papiers loszuwerden und gleichzeitig der BesetzerInnen-Szene eins auszuwischen,“ sagt der Aktivist Michael Raissig. Sein Kollege Saidou assistiert, falls das Problem wirklich bloß technischer Art gewesen sei, so hätte man doch miteinander diskutieren und gemeinsam eine Lösung suchen können. „Aber es kann doch nicht sein, dass man gleich das Schulhaus räumt und all unser Material abtransportiert,“ schimpft er.

Die neusten Vorschläge für die neuerliche Revision des Schweizer Asylgesetzes folgen derselben Linie wie die Räumungsaktion der Stadtpolizei Zürich. In einem Versuch, Kritiker zu beschwichtigen schlägt das Bundesamt für Migration vor, künftig auch auf einen Asylantrag einzutreten, auch wenn ein Antragsteller keine gültigen Identitätspapiere vorlegt. Allerdings beabsichtigt die Revision, die Beschwerdefrist für negative Entscheide im materiellen Verfahren auf die Hälfte, nämlich 15 Tage, zu senken. Zum Vergleich: In verwaltungsrechtlichen Verfahren ist eine Beschwerdefrist von 30 Tagen die Regel.

Die Räumung der ASZ sowie die entworfene Revision des Asylgesetzes illustrieren einmal mehr die kontinuierliche, repressive Politik der Schweiz gegenüber Asylsuchenden und papierlosen MigrantInnen. Man tut als existierten diese und ihr Problem nicht und vermeidet es tunlichst, nach praktikablen Lösungen zu suchen welche die Würde und Bedürfnisse der MigrantInnen respektieren.

Michael Raissig sagt, das Projekt 'Bildung für Alle' sei nicht gestorben, auch wenn mit der Räumung klargemacht worden sei, dass ein solches Projekt in der Schweiz nicht erwünscht sei. Ruedi Salzmann fügt an, der Trägerverein diskutiere künftige Schritte. Er betont, es gäbe einen Konsens, jetzt erst recht weiterzumachen: „Wir suchen neue Räume und sind auch bereit, an öffentlichen Orten Schule zu veranstalten.“

Dieser Bericht wurde von Ray Smith verfasst. Die englische Originalversion des Beitrags wurde hier von IPS Inter Press Service veröffentlicht.