2009-09-23
[en] [it] [fr]Seit Ende August ruhen im palästinensischen Flüchtlingslager Nahr al-Bared die Baumaschinen. Der libanesische Staatsrat verhängte ein zweimonatiges Moratorium über den Wiederaufbau des zerstörten Camps.
Nahr al-Bared, das nördlichste der 12 palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon, wurde 2007 in einem dreieinhalbmonatigen Krieg komplett zerstört. Obwohl bereits Anfang 2008 ein Masterplan für den Wiederaufbau vorlag und von der libanesischen Regierung gutgeheißen wurde, verzögerte sich der Beginn der Bauarbeiten immer wieder. Als schließlich im Frühling 2009 beim Räumen des Schutts auch noch antike Ruinen unter dem ehemaligen Camp gefunden wurden, glaubten nur noch wenige Flüchtlinge diesen Berichten. Zu viele – teils sehr fadenscheinige – Begründungen für den Aufschub des Wiederaufbaus hatten sie sich zwei Jahre lang immer wieder anhören müssen.
Die archäologische Fundstelle existierte jedoch tatsächlich und das libanesische Generaldirektorat für Antiquitäten schaltete sich ein. Gemeinsam mit der UNO-Agentur für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) und dem zuständigen Büro des libanesischen Ministerpräsidenten wurde schließlich eine Lösung gefunden: Vor der Aufschüttung der einzelnen Sektoren und der Legung der Fundamente für die Gebäude würde das Generaldirektorat die altertümlichen Ruinen ausgraben und dokumentieren.
Ende Juni – manche Flüchtlinge trauten ihren Augen kaum – begann der Wiederaufbau Nahr al-Bareds endlich. Der Masterplan sieht einen gestaffelten Mechanismus vor; begonnen wurde mit Package 1. Laut der UNRWA war man mit dem Aufschütten dieses Sektors Ende Augusts beinahe fertig und bereitete die Betonarbeiten vor, als die UNRWA auf Geheiss der libanesischen Regierung den Bau stoppte.
Was war passiert? Bereits im Frühling reichte Michel Aoun, der Chef des oppositionellen Free Patriotic Movement, beim libanesischen Staatsrat eine Klage gegen den Regierungsentscheid betreffend der Aufschüttung des Camps ein. Am 18. August schließlich verordnete das Gericht ein vorläufiges Moratorium für den Wiederaufbau. Eine endgültige Entscheidung steht noch aus.
Tausende BewohnerInnen Nahr al-Bareds reagierten am 31. August mit einer massiven Demonstration nahe der Baustelle und auch in anderen Flüchtlingslagern im Libanon kam es zu Protesten. Es wurde nicht bloß der Baustopp kritisiert, sondern erneut die sofortige Aufhebung der Belagerung Nahr al-Bareds gefordert, welche die EinwohnerInnen und deren Marktplatz von der Umwelt isoliert. Mitte September trugen die Flüchtlinge ihren Protest in Begleitung libanesischer SymphatisantInnen schließlich auf die Straßen der nordlibanesischen Metropole Tripoli.
Vertreter des Komitees für den Wiederaufbau Nahr al-Bareds warnen davor, dass die archäologischen Funde erneut für politische Profilierungsversuche konkurrierender libanesischer Parteien verwendet werden. Das Komitee weist auf den die Klage Aouns begleitenden Diskurs hin, wonach auf dem Gebiet des zerstörten Flüchtlingslagers eine Touristenattraktion anstatt eines Camps errichtet werden soll.
Während der letzten zwei Jahre beschränkten sich die Proteste der EinwohnerInnen Nahr al-Bareds meist auf nichtkonfrontative Platzkundgebungen. Diese Zurückhaltung gründet unter anderem auf lebhaften Erinnerungen an eine Demonstration Ende Juni 2007, bei der drei Personen erschossen und zahlreiche weitere verletzt wurden. An einer Pressekonferenz deuteten die palästinensischen Flüchtlinge nun aber an, weitere Protestaktionen vorzubereiten. Auf die Belagerung des Camps wollen sie unter Umständen gar mit einem Boykott des herrschenden Bewilligungssystems der libanesischen Armee reagieren.
Dieser Bericht wurde von einem unserer AktivistInnen verfasst. Der Beitrag wurde erstmals hier auf al-sharq veröffentlicht.